Eine Rallye wie wir sie seit dem Jahreswechsel erleben, haben selbst erfahrene Börsianer selten mitgemacht. Wie in der überdrehten Hausse in 2021 sehen wir aktuell wilde Spekulationsexzesse. Aktien von klaren Pleitekandidaten wie Bed, Bath & Beyond oder Carvana stiegen teilweise um +100 % an einem Tag! Solche Phasen signalisieren normalerweise das Ende einer Rallye.
Doch Fakt ist auch: Die charttechnische Situation hat sich in den vergangenen zwei Wochen im mittelfristigen Zeitfenster von „Bärisch“ zu „Bullisch“ gewendet. Der S&P 500 Index sowie der Nasdaq Index notieren inzwischen über den Abwärtstrends von 2022 und über der 200 Tage-Linie. Zudem sind beide Indizes vom Tief über +20 % gestiegen, was per Lehrbuch-Definition einen Bullenmarkt markiert.
S&P 500 Index: Charttechnik dreht von bärisch zu bullisch
Doch wie sieht die fundamentale Lage an den US-Börsen aus? Kurz zusammengefasst: Nicht annährend so gut, wie es die Partystimmung an der Börse vermuten lässt. Inzwischen haben rund die Hälfte aller Unternehmen des S&P 500 Index ihre neuen Quartalsberichte vorgelegt. Nur 65 % der Unternehmen konnten die Analystenerwartungen übertreffen.
65 % klingt viel, ist es aber nicht. Historisch übertreffen 75 % der Unternehmen die Analystenerwartungen. Noch problematischer: Die Analysten hatten ihre Prognosen für diese Quartalszahlen im Vorfeld der Berichtssaison schon gesenkt – und trotzdem konnten überdurchschnittlich viele Firmen selbst diese niedrigere Hürde nicht überspringen.
S&P 500 ist fundamental überbewertet
Vor diesem Hintergrund ist die Börsenbewertung der US-Märkte viel zu teuer. Aktuell erwarten die Analysten einen Gewinn von 225 USD für alle Mitglieder des S&P 500 Index für 2023. Bei einem aktuellen Kurs von 4.100 Punkten ergibt sich daraus ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von über 18!
Das liegt am oberen Ende des historischen KGV-Bewertungsbandes von 15 bis 19, in welchem der S&P 500 historisch verläuft. Nun fragen Sie sich selbst: Ist es in diesem wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld gerechtfertigt, dass der S&P 500 Index nahe seiner historischen Bewertungs-Hochs notiert? Wir meinen: Nein. Eine faire Bewertung wäre eher 15 bis 16. Im Fall einer schweren Rezession sogar 12 bis 13.
Zudem ist die aktuelle Gewinnerwartung der Analysten für den S&P 500 Index viel zu hoch. Wir erwarten für 2023 eher einen Gewinn um 200 USD. Aber selbst, wenn wir dann ein KGV von 16 ansetzen – das obere Ende der unserer Meinung nach gerechtfertigten Bewertungsspanne – kommen wir auf ein Kursziel von 3.200 Punkten für den S&P 500 Index.
Fazit: Aktuell liegt das Risiko für die US-Börsen klar auf der Downside. Die fundamentalen Faktoren rechtfertigen die aktuellen Börsenkurse nicht. Einzige Ausnahme: die fundamentale Situation verbessert sich nachhaltig (z.B. neuer Zinssenkungszyklus der Notenbanken). Nach unserer Analyse wird sich die verbesserte Charttechnik mittelfristig als Bullenfalle herausstellen und der Markt bricht nach unten weg. Auf dem aktuellen Niveau würden wir eher zu Gewinnmitnahmen raten und Cash halten.